Der schöne Ferrari!
»Scheißtag!« flucht ein Obdachloser aus sich raus,
innerlich die Frage, was der wohl noch bringt,
so ’n Scheißtag! Die Passanten weichen ja nur aus,
wo die Geldsammeldose ungeheuer leer klingt!
Die Decke zusammenrafft der Gute heute erbost,
wenig gebracht das Betteln, das traurig nette;
auf macht er sich, zu seinen Kumpels, auf’n Prost.
Zu begehbarem Gehweg wird die Bettelstätte.
’ne Pulle Alk eingekippt, vorm Getränkediscounter,
erblickt er aus Frust bloß Mittelschicht zuhauf.
»Gibt’s auf’m Parkplatz was zu gaffen!« posaunt er.
»Auf irgend’n flaches Auto glotzen die drauf!«
Wie man die Leute jetzt erst richtig staunen sieht,
als vor ihnen einer auftaucht, der Obdachlose,
extrem nahe an dem knallroten Ferrari vorbeizieht
und es knirscht, im Lack, die Geldsammeldose.
Ein paar grinsen, die allermeisten gucken verdattert
den Kratzer, den Obdachlosen, den Kratzer an.
Hintenher ein Einkaufswagen klimpert und rattert,
geschoben von einem Millionär, der bald kann
nicht ein Stück weiter schieben, muss bleiben stehen.
Der Übeltäter ängstlich die Atmosphäre spürt,
in der die Leute besser schon mal weiter weg gehen;
rennen will er nur, aber vor Zittern sich nix rührt.
Es springt der Millionär aus seinem starren Einhalt,
den Einkaufswagen beiseite schleudernd. Klirr,
draus schäumt ein Karton Champagner auf Asphalt.
»Wer hat meinen Ferrari zerkratzt welcher Irr’?!«
Auf den Obdachlosen zeigen einige Anwesende flugs.
»Was hast du getan! Du wahnsinniger Asozialer!«
Der schluckende Angeschriene äußert einen Glucks.
»Das ist ein Ferrari für ganze 700 000 Europataler!«
Wohnblöcke weit reicht nun des Millionärs Geschrei.
»Sie sollten sich schleunigst wieder einpegeln!«
brüllt eine Frau, äußerst selbstsicher, von der Polizei.
»Das können wir doch wie Menschen regeln!«
»Meinen Ferrari hat der zerkratzt! Da! Sehen Sie?!«
»Oha«, sagt die Polizistin, beäugend den Kratzer,
»aber dass der Arme das war, glaub’ ich Ihnen nie.«
Da rufen Leute über den Parkplatz: »Doch, er!«
Die Polizistin fragt: »Warst du es? Das bezeugen alle«,
den Obdachlosen, kennt ihn von der Streife her.
»Was ist passiert? Warum hast du das getan? Kalle.«
»Scheiße, Scheißtag, meine Dose is’ scheißleer,
wollt’ was zum Saufen mir hier kaufen und, und wollt’
denn zur Parkbank, sehen gehen meine Kumpels;
gleich war jetz’ was, was ich gemacht haben gesollt,
’s macht ’ne Scheißangst, am Herz’ rumpelt’s.«
Der Millionär noch mal über die Kratzerstelle wischt,
von der Polizistin gefragt: »Geht er wegzumachen?«
»Geht nicht, verflixter Mist, erstatte Anzeige« zischt.
»Ein so Reicher wird doch können drüber lachen?«
in der schaulustig’ Menschenmenge vorsichtig wispert.
Der obdachlose Kalle, unsicherste Freiheit sein Los,
und in der engen knisternden Situation der, der knistert,
stottert: »Herr Mi’onär! 2 Euro! Da drin in der Dos’!«
Zwei Jahre sind vergangen, als nun der Richter spricht:
»Rein formal, mutwillige Sachbeschädigung, soweit.
Weswegen muss so ein Fall kommen vor mein Gericht?
Ach könnte ich ihn fallen lassen aus Geringfügigkeit.«
Sofort lehnt sich aus der Anklage der Millionärsanwalt.
»Ein Speziallackschaden im Wert eines Kleinwagens!«
Des Obdachlosen Pflichtverteidiger sucht nach Anhalt,
da die Unzurechnungsfähigkeit leider fehlgeschlagen ist.
Sich beraten, räuspert der Richter sich, um zu richten:
»Werte Anwälte, der wohlhabende Ihrer Mandanten
muss auf die 6000 Euro Schadenersatz leider verzichten,
die beim Armen weder beim Steuerzahler vorhanden.
Der sozial schwache Schädiger des Privateigentums hat
20 Tagessätze zu je 2 Euro zu zahlen oder ersatzweise
ins Gefängnis zu gehen. Das Geld bekäme unsere Stadt.
So lautet das Urteil, im Namen des Volkes.«
Halbwegs zufrieden vernimmt hoch über einer Wolk’ es
Vater der Herr, findet Gerechtigkeit oft nicht leicht.
Und mit diesem komplizierten, differenzierenden Recht
haben die Kinder unter sich schon ein wenig erreicht.
Ja was zischt und schweift dort durch die Stratosphäre?
Das kann wahrlich nur kommen von Mutter Natur,
kommt dem Glauben an Gerechtigkeit hier in die Quere,
ein Meteorit, klein, aber mit arg langer Qualmspur.
Ein Villenviertel erbebt, klappert mit den Dachziegeln,
wieder still im Nu. Draus auf steigt eine Rauchsäule.
Villenbewohner panisch ihre Eingangsportale entriegeln,
schauen noch in den Türen etwa wie vor einer Keule
auf ein pechschwarzes, sehr großes Loch im Straßenrand,
an dem, unfassbar, zwei knallrote Autotüren glimmen.
Einem Rest von Heck lichterloh entflammt ein Motorbrand.
Im vorderen Trümmerteil glüht Kofferraum, von innen.
Alle anderen indes nur noch verblüfft, bleibt einer entsetzt.
Man hört ihn fürchterlich heulen und brüllen den Mann
jetzt, wie er, eben noch starr gestanden, aus der Villa hetzt;
an die Autoreste, wegen der Hitze, nicht näher ran kann,
zurückkrabbelt, vorprescht, zurück, vor, zurück, vor, zurück,
ein Wahnsinniger mit heftig flinken Armen und Beinen,
der endlich liegen bleibt, nun aber rausschreit sein Unglück:
»Mein Ferrari! Spezialanfertigung! Davon gab es nur einen!«
»Von dem Ferrari gab es nur einen, seinen, wie ich weiß«,
antwortet eine schick designte Nachbarin im 1. Kanal.
»Unheimlich. Womöglich war das ja so etwas wie ein Preis
für die Klage gegen den Obdachlosen, einem Skandal.
Zwar hat der verantwortungslos gehandelt, aber so auch der
liebe Herr Nachbar, den der Lackkratzer billiger kam
als eben der Meteoriteneinschlag. Ein Naturereignis, oder?
Hat doch nichts zu tun mit Gerechtigkeit?«
Muriel Leland
Ein wirklich klasse Text! Du hast mir den Link über FaceBook gegeben (Anja Tonk).
Ehrlich gesagt, hätte ich fast geheult beim Lesen, da ich selbst Polizistin war und diese Geschichten zur Genüge kenne.
http://www.muriel-leland.de - meine SchriftstellerHP
lg, anja
13.02.2011 13:15
Veit Pakulla
Danke Anja! Ich beobachte manchmal Polizeibeamte bei der Arbeit, selbstverständlich ohne störend zu gaffen möglichst. Nimmt einen diese Arbeit häufig so sehr mit, dass sie fast zum Heulen ist? Ich nehme an, es gibt zum anderen nicht wenige positive Situationen im Alltag unserer Ordnungshüter.
13.02.2011 13:29
Sonja Frischknecht
Es gibt so viele Erdenzonen, in denen Geschöpfe Gottes wohnen. Seit eh und je bekriegen sie sich, nicht zum Spaße sicherlich. (Karl-Heinz Fricke) Danke für deinen Text. Gefällt mir! Mir zeigt er, dass es wohl nur wenig ideale Zustände gibt des sozialen Miteinanders, darin enthalten Urteile und Handlungen.
17.02.2011 08:31
Gerold Flock
Der Anarchist Erich Mühsam hat etwa der gleichen sozialkritischen Art und Weise Gedichte geschrieben.
Danke.
31.07.2011 18:12
Veit Pakulla
Sollte ich ein Anarchist sein, Gerold, weiß ich nichts davon! Ich bin der Ansicht, vieles braucht einen Rahmen und Regeln. Keine Frage, die Welt ist verbesserungswürdig.
31.07.2011 19:25
radl katharina
Das kommt davon wenn man mit dem Ferrari einkaufen geht. Doch wenn sich jemand wirklich einen Ferrari leisten kann, dann würde er wegen eines Kratzer nicht so ein Theater machen.
19.08.2011 13:22
Veit Pakulla
Der Kratzer im Luxusauto steht symbolisch für den Einfluss, den ein Obdachloser auf das (Wohl)-Befinden eines Millionärs haben kann. Keine besonders schlimme Angelegenheit hier. Denn es gibt andere Reiche, denen das soziale Miteinander wichtig ist, die nicht nur besitz- und statusdenken. Der Obdachlose ist von allen Schichten der Gesellschaft zum Glück nicht so alleingelassen, dass er zu größeren Verzweiflungstaten willens bzw. fähig wäre.
19.08.2011 13:51
strohfeuer
Gefällt mir leider nicht, da es einfach nur die gängigen Klischees bedient: Reich = Böse, Arm = Gut, Auto = Statussymbol. Diese Klischees zu verfestigen ist dem gesellschaftlichen Miteinander nicht förderlich. Und dass dann auch noch die gefühlte »Gerechtigkeit« durch »Mutter Natur« bzw. »Vater den Herrn« hergestellt wird, setzt dem ganzen ja noch die Krone auf.
Mir tut der Ferrari leid, weil er das Ganze ausbaden muss. Er kann ja nichts dafür dass er einem Millionär gehört und dass es dem Obdachlosen schlecht geht. Was hat der Mann denn davon dem Ferrari einen Kratzer zu verpassen? Geht es ihm dadurch besser? Viele Menschen fantasieren davon, vermeintlich Bessergestellten eins auszuwischen, indem sie eine Sache beschädigen, die ihnen lieb ist. Das habe ich noch nie verstanden. Eine Sache kann auch einen hohen emotionalen Wert für ihre Besitzer haben ohne Statussymbol sein zu müssen. Da geht es mehr um das Ideelle statt ums Finanzielle.
Wenn überhaupt schon »Gerechtigkeit« »von hoch oben« erfolgen muss, hätte doch eher der Millionär sein ganzes Geld verlieren oder der Obdachlose unverhofft zu viel Geld / Wohlstand kommen können. Dann wäre das hier gezeichnete Bild wenigstens rund statt eines zerstörten Autos was letztendlich keinem der Protagonisten nützt. Auch lernt aus der Geschichte keiner, eher verstärken sich gegenseitige Vorbehalte.
20.06.2012 15:01
Veit Pakulla
strohfeuer, Sozialneid ist weit verbreitet und durchzieht alle Gesellschaftsschichten. Reich heißt in der obigen Ballade nicht böse. Schließlich sagt in der letzten Strophe die reiche (schick designte) Nachbarin des Ferrarifahrers, er sei zu weit gegangen. Der Halter dieses Ferraris (ein Auto, also ein Ding) ist von schlechtem Charakter, denn er ist gnadenlos, wenn es um sein Eigentum geht, dessen Immensität daraus resultiert, dass er seinen Mitmenschen manches vorenthält.
Der Obdachlose ist nicht der Gute. Er wird ja verurteilt. Abgesehen davon sieht ihn sonst niemand. Es sei denn, er macht sich bemerkbar. Dies tut er mehr oder weniger unbewusst, indem er einen kleinen Schaden anrichtet. Enthielte ihm die Gesellschaft mehr, würde er einen größeren Schaden anrichten. Um das Lebensnotwendige kämpfende Menschen können gefährlich werden.
Niemand weiß genau, ob Mutter Natur hier Gerechtigkeit übt, denn der Meteorit prescht zufällig in den Ferrari. Es scheint, als würde der Autoliebhaber bestraft. Seine reiche Nachbarin findet unmoralisch, dass er wegen des Kratzerschadens, den er locker aus eigener Tasche begleichen konnte, den Obdachlosen verklagte.
Es ist eine kompakte Kurzgeschichte in Versform. Ohne Klischees bin ich nicht ausgekommen. Gerade sie machen es so schön. Mit ihnen zu spielen.
Charakter haben und behalten ist wichtig. Und was wir wirklich brauchen, sollten wir uns möglichst nehmen und nicht nehmen lassen.
23.06.2012 01:08