Der schöne Ferrari!

Sep 2007

»Scheiß­tag!« flucht ein Ob­dach­lo­ser aus sich raus,
in­ner­lich die Frage, was der wohl noch bringt,
so ’n Scheiß­tag! Die Pas­san­ten wei­chen ja nur aus,
wo die Geld­sam­mel­dose un­ge­heuer leer klingt!
Die De­cke zu­sam­men­rafft der Gute heute er­bost,
we­nig ge­bracht das Bet­teln, das trau­rig nette;
auf macht er sich, zu sei­nen Kum­pels, auf’n Prost.
Zu be­geh­ba­rem Geh­weg wird die Bettelstätte.

’ne Pulle Alk ein­ge­kippt, vorm Ge­trän­ke­dis­coun­ter,
er­blickt er aus Frust bloß Mit­tel­schicht zu­hauf.
»Gibt’s auf’m Park­platz was zu gaf­fen!« po­saunt er.
»Auf irgend’n fla­ches Auto glot­zen die drauf!«
Wie man die Leute jetzt erst rich­tig stau­nen sieht,
als vor ih­nen ei­ner auf­taucht, der Ob­dach­lose,
ex­trem nahe an dem knall­ro­ten Fer­rari vor­bei­zieht
und es knirscht, im Lack, die Geldsammeldose.

Ein paar grin­sen, die al­ler­meis­ten gu­cken ver­dat­tert
den Krat­zer, den Ob­dach­lo­sen, den Krat­zer an.
Hin­ten­her ein Ein­kaufs­wa­gen klim­pert und rat­tert,
ge­scho­ben von ei­nem Mil­lio­när, der bald kann
nicht ein Stück wei­ter schie­ben, muss blei­ben ste­hen.
Der Übel­tä­ter ängst­lich die At­mo­sphäre spürt,
in der die Leute bes­ser schon mal wei­ter weg ge­hen;
ren­nen will er nur, aber vor Zit­tern sich nix rührt.

Es springt der Mil­lio­när aus sei­nem star­ren Ein­halt,
den Ein­kaufs­wa­gen bei­seite schleu­dernd. Klirr,
draus schäumt ein Kar­ton Cham­pa­gner auf Asphalt.
»Wer hat mei­nen Fer­rari zer­kratzt wel­cher Irr’?!«
Auf den Ob­dach­lo­sen zei­gen ei­nige An­we­sende flugs.
»Was hast du ge­tan! Du wahn­sin­ni­ger Aso­zia­ler!«
Der schlu­ckende An­ge­schriene äußert ei­nen Glucks.
»Das ist ein Fer­rari für ganze 700 000 Europataler!«

Wohn­blö­cke weit reicht nun des Mil­lio­närs Ge­schrei.
»Sie soll­ten sich schleu­nigst wie­der ein­pe­geln!«
brüllt eine Frau, äußerst selbst­si­cher, von der Po­li­zei.
»Das kön­nen wir doch wie Men­schen re­geln!«
»Mei­nen Fer­rari hat der zer­kratzt! Da! Se­hen Sie?!«
»Oha«, sagt die Po­li­zis­tin, be­äu­gend den Krat­zer,
»aber dass der Arme das war, glaub’ ich Ih­nen nie.«
Da ru­fen Leute über den Park­platz: »Doch, er!«

Die Po­li­zis­tin fragt: »Warst du es? Das be­zeu­gen alle«,
den Ob­dach­lo­sen, kennt ihn von der Streife her.
»Was ist pas­siert? Wa­rum hast du das ge­tan? Kalle.«
»Scheiße, Scheiß­tag, meine Dose is’ scheiß­leer,
wollt’ was zum Sau­fen mir hier kau­fen und, und wollt’
denn zur Park­bank, se­hen ge­hen meine Kum­pels;
gleich war jetz’ was, was ich ge­macht ha­ben ge­sollt,
’s macht ’ne Scheiß­angst, am Herz’ rumpelt’s.«

Der Mil­lio­när noch mal über die Kratzer­stelle wischt,
von der Po­li­zis­tin ge­fragt: »Geht er weg­zu­ma­chen?«
»Geht nicht, ver­flix­ter Mist, er­statte An­zeige« zischt.
»Ein so Rei­cher wird doch kön­nen drü­ber la­chen?«
in der schau­lus­tig’ Men­schen­menge vor­sich­tig wis­pert.
Der ob­dach­lose Kalle, un­si­cherste Frei­heit sein Los,
und in der en­gen knis­tern­den Si­tua­tion der, der knis­tert,
stot­tert: »Herr Mi’onär! 2 Euro! Da drin in der Dos’!«

Zwei Jahre sind ver­gan­gen, als nun der Rich­ter spricht:
»Rein for­mal, mut­wil­lige Sach­be­schä­di­gung, so­weit.
Wes­we­gen muss so ein Fall kom­men vor mein Ge­richt?
Ach könnte ich ihn fal­len las­sen aus Ge­ring­fü­gig­keit.«
So­fort lehnt sich aus der An­klage der Mil­lio­närs­an­walt.
»Ein Spe­zi­al­lack­scha­den im Wert ei­nes Klein­wa­gens!«
Des Ob­dach­lo­sen Pflicht­ver­tei­di­ger sucht nach An­halt,
da die Un­zu­rech­nungs­fä­hig­keit lei­der fehl­ge­schla­gen ist.

Sich be­ra­ten, räus­pert der Rich­ter sich, um zu rich­ten:
»Werte An­wälte, der wohl­ha­bende Ih­rer Man­dan­ten
muss auf die 6000 Euro Scha­den­er­satz lei­der ver­zich­ten,
die beim Ar­men we­der beim Steu­er­zah­ler vor­han­den.
Der so­zial schwa­che Schä­di­ger des Pri­vat­ei­gen­tums hat
20 Ta­ges­sätze zu je 2 Euro zu zah­len oder er­satz­weise
ins Ge­fäng­nis zu ge­hen. Das Geld be­käme un­sere Stadt.
So lau­tet das Ur­teil, im Na­men des Volkes.«

Halb­wegs zu­frie­den ver­nimmt hoch über ei­ner Wolk’ es
Va­ter der Herr, fin­det Ge­rech­tig­keit oft nicht leicht.
Und mit die­sem kom­pli­zier­ten, dif­fe­ren­zie­ren­den Recht
ha­ben die Kin­der un­ter sich schon ein we­nig er­reicht.
Ja was zischt und schweift dort durch die Stra­to­sphäre?
Das kann wahr­lich nur kom­men von Mut­ter Na­tur,
kommt dem Glau­ben an Ge­rech­tig­keit hier in die Quere,
ein Me­teo­rit, klein, aber mit arg lan­ger Qualmspur.

Ein Vil­len­vier­tel er­bebt, klap­pert mit den Dach­zie­geln,
wie­der still im Nu. Draus auf steigt eine Rauch­säule.
Vil­len­be­woh­ner pa­nisch ihre Ein­gangs­por­tale ent­rie­geln,
schauen noch in den Tü­ren etwa wie vor ei­ner Keule
auf ein pech­schwar­zes, sehr gro­ßes Loch im Stra­ßen­rand,
an dem, un­fass­bar, zwei knall­rote Au­to­tü­ren glim­men.
Ei­nem Rest von Heck lich­ter­loh ent­flammt ein Mo­tor­brand.
Im vor­de­ren Trüm­mer­teil glüht Kof­fer­raum, von innen.

Alle an­de­ren in­des nur noch ver­blüfft, bleibt ei­ner ent­setzt.
Man hört ihn fürch­ter­lich heu­len und brül­len den Mann
jetzt, wie er, eben noch starr ge­stan­den, aus der Villa hetzt;
an die Au­to­reste, we­gen der Hitze, nicht nä­her ran kann,
zu­rück­krab­belt, vor­prescht, zu­rück, vor, zu­rück, vor, zu­rück,
ein Wahn­sin­ni­ger mit hef­tig flin­ken Ar­men und Bei­nen,
der end­lich lie­gen bleibt, nun aber raus­schreit sein Un­glück:
»Mein Fer­rari! Spe­zi­al­an­fer­ti­gung! Da­von gab es nur einen!«

»Von dem Fer­rari gab es nur ei­nen, sei­nen, wie ich weiß«,
ant­wor­tet eine schick de­signte Nach­ba­rin im 1. Ka­nal.
»Un­heim­lich. Wo­mög­lich war das ja so et­was wie ein Preis
für die Klage ge­gen den Ob­dach­lo­sen, ei­nem Skan­dal.
Zwar hat der ver­ant­wor­tungs­los ge­han­delt, aber so auch der
liebe Herr Nach­bar, den der Lack­krat­zer bil­li­ger kam
als eben der Me­teo­ri­ten­ein­schlag. Ein Na­tur­er­eig­nis, oder?
Hat doch nichts zu tun mit Gerechtigkeit?«

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9 Kommentare

  1. Muriel Leland

    Ein wirk­lich klasse Text! Du hast mir den Link über Face­Book ge­ge­ben (Anja Tonk).

    Ehr­lich ge­sagt, hätte ich fast ge­heult beim Le­sen, da ich selbst Po­li­zis­tin war und diese Ge­schich­ten zur Ge­nüge kenne.
    http://www.muriel-leland.de - meine SchriftstellerHP

    lg, anja

  2. Veit Pakulla

    Danke Anja! Ich be­ob­achte manch­mal Po­li­zei­be­amte bei der Ar­beit, selbst­ver­ständ­lich ohne stö­rend zu gaf­fen mög­lichst. Nimmt ei­nen diese Ar­beit häu­fig so sehr mit, dass sie fast zum Heu­len ist? :( Ich nehme an, es gibt zum an­de­ren nicht we­nige po­si­tive Si­tua­tio­nen im All­tag un­se­rer Ordnungshüter.

  3. Sonja Frischknecht

    Es gibt so viele Er­den­zo­nen, in de­nen Ge­schöpfe Got­tes woh­nen. Seit eh und je be­krie­gen sie sich, nicht zum Spaße si­cher­lich. (Karl-Heinz Fri­cke) Danke für dei­nen Text. Ge­fällt mir! Mir zeigt er, dass es wohl nur we­nig ideale Zu­stände gibt des so­zia­len Mit­ein­an­ders, darin ent­hal­ten Ur­teile und Handlungen.

  4. Gerold Flock

    Der An­ar­chist Erich Müh­sam hat etwa der glei­chen so­zi­al­kri­ti­schen Art und Weise Ge­dichte ge­schrie­ben.
    Danke.

  5. Veit Pakulla

    Sollte ich ein An­ar­chist sein, Ge­rold, weiß ich nichts da­von! Ich bin der Ansicht, vie­les braucht ei­nen Rah­men und Re­geln. Keine Frage, die Welt ist verbesserungswürdig.

  6. radl katharina

    Das kommt da­von wenn man mit dem Fer­rari ein­kau­fen geht. Doch wenn sich je­mand wirk­lich ei­nen Fer­rari leis­ten kann, dann würde er we­gen ei­nes Krat­zer nicht so ein Thea­ter machen.

  7. Veit Pakulla

    Der Krat­zer im Lu­xus­auto steht sym­bo­lisch für den Ein­fluss, den ein Ob­dach­lo­ser auf das (Wohl)-Befinden ei­nes Mil­lio­närs ha­ben kann. Keine be­son­ders schlimme An­ge­le­gen­heit hier. Denn es gibt an­dere Rei­che, de­nen das so­ziale Mit­ein­an­der wich­tig ist, die nicht nur besitz- und sta­tus­den­ken. Der Ob­dach­lose ist von al­len Schich­ten der Ge­sell­schaft zum Glück nicht so al­lein­ge­las­sen, dass er zu grö­ße­ren Ver­zweif­lungs­ta­ten wil­lens bzw. fä­hig wäre.

  8. strohfeuer

    Ge­fällt mir lei­der nicht, da es ein­fach nur die gän­gi­gen Kli­schees be­dient: Reich = Böse, Arm = Gut, Auto = Sta­tus­sym­bol. Diese Kli­schees zu ver­fes­ti­gen ist dem ge­sell­schaft­li­chen Mit­ein­an­der nicht för­der­lich. Und dass dann auch noch die ge­fühlte »Ge­rech­tig­keit« durch »Mut­ter Na­tur« bzw. »Va­ter den Herrn« her­ge­stellt wird, setzt dem gan­zen ja noch die Krone auf.

    Mir tut der Fer­rari leid, weil er das Ganze aus­ba­den muss. Er kann ja nichts da­für dass er ei­nem Mil­lio­när ge­hört und dass es dem Ob­dach­lo­sen schlecht geht. Was hat der Mann denn da­von dem Fer­rari ei­nen Krat­zer zu ver­pas­sen? Geht es ihm da­durch bes­ser? Viele Men­schen fan­ta­sie­ren da­von, ver­meint­lich Bes­ser­ge­stell­ten eins aus­zu­wi­schen, in­dem sie eine Sa­che be­schä­di­gen, die ih­nen lieb ist. Das habe ich noch nie ver­stan­den. Eine Sa­che kann auch ei­nen ho­hen emo­tio­na­len Wert für ihre Be­sit­zer ha­ben ohne Sta­tus­sym­bol sein zu müs­sen. Da geht es mehr um das Ide­elle statt ums Finanzielle.

    Wenn über­haupt schon »Ge­rech­tig­keit« »von hoch oben« er­fol­gen muss, hätte doch eher der Mil­lio­när sein gan­zes Geld ver­lie­ren oder der Ob­dach­lose un­ver­hofft zu viel Geld / Wohl­stand kom­men kön­nen. Dann wäre das hier ge­zeich­nete Bild we­nigs­tens rund statt ei­nes zer­stör­ten Au­tos was letzt­end­lich kei­nem der Prot­ago­nis­ten nützt. Auch lernt aus der Ge­schichte kei­ner, eher ver­stär­ken sich ge­gen­sei­tige Vorbehalte.

  9. Veit Pakulla

    stroh­feuer, So­zi­al­neid ist weit ver­brei­tet und durch­zieht alle Ge­sell­schafts­schich­ten. Reich heißt in der obi­gen Bal­lade nicht böse. Schließ­lich sagt in der letz­ten Stro­phe die rei­che (schick de­signte) Nach­ba­rin des Fer­ra­rifah­rers, er sei zu weit ge­gan­gen. Der Hal­ter die­ses Fer­ra­ris (ein Auto, also ein Ding) ist von schlech­tem Cha­rak­ter, denn er ist gna­den­los, wenn es um sein Ei­gen­tum geht, des­sen Im­men­si­tät dar­aus re­sul­tiert, dass er sei­nen Mit­men­schen man­ches vor­ent­hält.
    Der Ob­dach­lose ist nicht der Gute. Er wird ja ver­ur­teilt. Ab­ge­se­hen da­von sieht ihn sonst nie­mand. Es sei denn, er macht sich be­merk­bar. Dies tut er mehr oder we­ni­ger un­be­wusst, in­dem er ei­nen klei­nen Scha­den an­rich­tet. Ent­hielte ihm die Ge­sell­schaft mehr, würde er ei­nen grö­ße­ren Scha­den an­rich­ten. Um das Le­bens­not­wen­dige kämp­fende Men­schen kön­nen ge­fähr­lich wer­den.
    Nie­mand weiß ge­nau, ob Mut­ter Na­tur hier Ge­rech­tig­keit übt, denn der Me­teo­rit prescht zu­fäl­lig in den Fer­rari. Es scheint, als würde der Au­to­lieb­ha­ber be­straft. Seine rei­che Nach­ba­rin fin­det un­mo­ra­lisch, dass er we­gen des Krat­zer­scha­dens, den er lo­cker aus ei­ge­ner Ta­sche be­glei­chen konnte, den Ob­dach­lo­sen verklagte.

    Es ist eine kom­pakte Kurz­ge­schichte in Vers­form. Ohne Kli­schees bin ich nicht aus­ge­kom­men. Ge­rade sie ma­chen es so schön. Mit ih­nen zu spie­len.
    Cha­rak­ter ha­ben und be­hal­ten ist wich­tig. Und was wir wirk­lich brau­chen, soll­ten wir uns mög­lichst neh­men und nicht neh­men lassen.

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